Wenn Fragmente das Ganze beschreiben

20. Juni 2011 § 9 Kommentare

Sind Sie Autor? Journalist? Jemand, der vom Schreiben lebt? Der Sach- und Fachkenntnis haben muss, um Menschen Neues zu erzählen oder gar zu erklären? Wenn nicht, glauben Sie sicher, dass man damit berühmt wird und viel Geld verdienen kann. Ersteres mag stimmen, letzteres ist nur selten der Fall. Obwohl… Ich sollte schreiben, „nur noch selten der Fall.“ Wir (Fach-)Berufsschreiberlinge, wie ich uns despektierlich nenne, haben in der Tat mal recht gut gelebt von dem, was wir produziert haben. Oder war es den Lesern einfach mal mehr wert? Heute ist Information kostenlos in Echtzeit erhältlich – aber wer sammelt sie, wertet sie aus, beurteilt ihre Relevanz und prüft ihre Richtigkeit? Wer arbeitet Information um zu Wissen, wer vertieft Wissen zu Bildung?

Nein, ich will nicht jammern, sondern Katja Kullmann zitieren. Die Journalistin und Autorin („Generation Ally“) war eine von uns, eine von denen, die ihren Job nicht als Job, sondern als Beruf verstand, aber den Umbruch (Zusammenbruch?) der New Economy und in deren Folge den der Medienbranche nicht früh genug kommen sah oder ignorierte – und daran langsam aber sicher finanziell ausblutete, bis sie bei Hartz IV angekommen war. In einem Interview der ZEIT sprang mich dieses Satzfragment von ihr an:

„Als der freie Journalismus zur mies bezahlten Tagelöhnerei wurde (…)“

Damit, so finde ich, ist alles gesagt. Über Qualität und Quantität, über Lust und Frust, über Unabhängigkeiten und Notwendigkeiten. Glauben Sie noch an freien Qualitätsjournalismus? Ich nicht. Woher soll er kommen? Auch Idealismus verhungert irgendwann.

§ 9 Antworten auf Wenn Fragmente das Ganze beschreiben

  • Anonymous sagt:

    Ich höre immer „frei“… den Festangestellten geht es auch an den Kragen, ein Verlag nach dem anderen steigt aus dem Tarifmodell aus. Die Löhne sinken ins Bodenlose, Leistungs- & Zeitdruck steigen himmelwärts. Den Kleinscheiss und besonders den Online-Content tippen hauptsächlich Praktikanten, unbeaufsichtigt, Schlussredaktion findet kaum noch statt. Das Endergebnis trägt dann Namen wie „Augsburger Allgemeine“, die online schon ziemlich zünftige Stilblüten abgeliefert hat. Könnte man Fische in Webseiten einwickeln, gäbe es nie wieder Mangel an Verpackungsmaterial…

  • Motzkachel sagt:

    Richtig beschrieben, Gina und richtig ergänzt, Anonymus!

    Rund wird das Bild, wenn angestellte Redakteure vorn rausgeschmissen werden und durch die Hintertür als „Freie“ wieder verpflichtet werden – ohne Sicherheit und Versicherung, für ein Hungerhonorar, ohne Urlaub, Krankheit und so weiter. Sie machen den gleichen Job weiter, nur für 1/3 des Geldes. Woher kommen wohl die vielen Freien? Bestimmt sind einige dabei, die gern frei sind, die Mehrzahl aber dürfte aus Not freiberuflich arbeiten. Ach, ich darf gar nicht darüber nachdenken… 👿

  • Stefan sagt:

    Freier Autor oder freier Journalist zu sein, ist Suizid auf Raten. Ich bin umgezogen, habe mein Auto verkauft, fahre öfter Mitfahrzentrale als Bahn, habe schon zwei Jahre keine neuen Klamotten mehr gekauft und im Urlaub fahre ich zu meinen Eltern in die Heide. btw: Tut Hungertod eigentlich weh?

  • ***** sagt:

    Man kann jammern oder sich Nischen suchen. Um Nischen zu besetzen, muss man gut sein. Und wenn man gut ist, ist man begehrt – und hat diese Probleme gar nicht. Gina, Du sitzt doch mit Deinen festen Auftraggebern recht gut im Sattel, oder? 😉

  • Jadebusen sagt:

    ich bin froh dass ich nicht mehr für jede meldung eine zeitung kaufen muss und jede info mühsam suchen muss. das web hat die abzocke um informationen beendet, das isses!

  • Greg Janssen sagt:

    Wie seriös und wie wahr ist das, was im Web steht? lange werden Informationen noch geglaubt, die frei erhältlich sind? Beispiele gibt es reichlich, wenn die redaktionelle Qualitätssicherung umgangen oder gleich eingespart wird. Ins Web schreibt jeder schnell alles, siehe die lesbische syrische Bloggerin, die als heterosexueller amerikanischer Student geoutet wurde… Ich glaube nichts, was im Web steht und inzwischen nur noch wenig von dem, was sogenannte seriöse Medien publizieren. Man liest und hört mittlerweile zu oft: „Quelle: Internet“. Billig ist das! Aber das ist eben die Konsequenz der Sparsamkeit.

  • Gina sagt:

    Ja, mir geht es nicht schlecht. Ja, ich habe Kunden, die mir Sicherheit bieten, zumindest soviel, wie man als Freiberufler erlangen kann. Aber auch ich aber musste erleben, wie aus guten schlechte Zeiten wurden. Wie unser Zweifrau-Redaktionsbüro erst zum erfolgreichen Medienunternehmen und dann wieder zum Einzelkämpferladen wurde. Wie interessante Projekte, volle Auftragsbücher und angemessene Honorare zu „mach´ich´s halt“, Teilzeituntätigkeit und „kaum der Mühe wert, eine Rechnung zu schreiben“ wurden… Neue Kunden? Fehlanzeige. Zumindest nicht im Journalismus. PR ginge notfalls immer, aber das will ich nicht. Luxus, wer sich das leisten kann, stimmt. Gott sei Dank habe ich mehr gelernt, als „nur“ Schreiben…

    Seriöse Medien? Auch ich habe hier völlig die Illusion verloren – von Glaube oder gar Zuversicht will ich gar nicht erst reden. Ich weiß zu gut, wie die Läden laufen… Meldungen, egal welcher Art und welchen Inhalts, nehme ich nur noch zur Kenntnis, warte auf Falsifizierung – interessanterweise nicht auf Verifizierung. Zynismus ist das, ich weiß. Aber der bekam Nährstoff, konnte wachsen und gedeihen. Ich liebe die Schreiberei, aber wie lange diese Liebe wohl noch anhält, um sie als Beruf ausüben zu wollen?

    Es geht nicht nur um´s Geld, es geht um´s Prinzip: Leistung muss sich lohnen! Das gilt für Metallarbeiter, Beamte und Journalisten. Zumindest in der Theorie.

  • Torsten Wimmer (freier Autor, von Mama bezahlt) sagt:

    Was ist eigentlich frei an freiem Journalismus? Die Verlage. Die Redaktionen. Die Leser. Schön für sie. Die Autoren sind bei alldem so frei zu verhungern, oder was?!

  • Ingmar sagt:

    Ich bin nur Konsument der Ergebnisse journalistischer Tätigkeit, der versucht ein Leben nach dem Prinzip “leben und leben lassen“ zu führen!
    Aus diesem Grund bin ich auch sehr gern bereit für Journalismus zu bezahlen, aber:
    – Nur weil ich etwas für Information bezahle, gibt mir das keine Sicherheit das diese noch korrekt oder qualitativ hochwertig ist.
    – Wenn mich aus einer Zeitung/Zeitschrift nur 1/3 wirklich interessiert tue ich mich sehr schwer deshalb das ganze Medium zu kaufen.
    – Mein Interesse ist breit gefächert so das ich auf dem Online-Weg ca. 10 verschiedene Medien konsumieren. Nun gebe ich zu bedenken, das auch mein Einkommen begrenzt ist und ich könnte diese Vielfalt ohne Online nicht haben.
    – Ich lese sehr viel von dem was ich lese am Rechner bzw. Smartphone, möchte deshalb kein Papierabo. Warum sollte ich aber für ein Onlineabo den gleichen Preis bezahlen obwohl z.b. Druck und Transport wegfallen?
    – Weil ich aber bereit bin zu bezahlen habe ich mich bei Flattr angemeldet, leider finde ich aber bisher unter vielen Artikeln diesen oder einen anderen, rel. einfachen Bezahlweg NICHT!

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